Ein Plädoyer für die Bauernhofpädagogik

Die Bauernhofpädagogik gibt es schon einige Zeit und seit mehr als 10 Jahren auch eine spezielle Weiterbildung, die wir absolut und von ganzem Herzen empfehlen möchten. Mittlerweile stellt die Bauernhofpädagogik eine wesentliche Aufgabe auf unserem Bauernhof dar. Es ist definitiv nicht immer eine leichte Aufgabe. Herzblut, Enthusiasmus, ein gewisses Gespür für die Bedürfnisse der kleinen und großen Besucher und natürlich im Hinterkopf den Gedanken ein bisschen Hintergurndwissen zu vermitteln, ist essentiell. Am Ende ist jeder einzelne Besuch, jedes Angebot für beide Seiten absolut lohnend!

Bauernhofpädagogik
Feldspaziergang mit den Alpakas und Bauernhofhund Balu – Bild: © K. Ferrlein

Unser Bauernhof als emotionaler Lern- und Erfahrungsort

Seit November kommt jeden Montagmorgen eine Schulklasse zu uns. Wir erledigen zusammen die Routinearbeit auf unserem Bauernhof und die Schüler vespern zusammen. Ab und zu erleben wir noch ein Abenteuer, wenn wir die Aufgaben zügig erfüllen konnten.

Es geht tatsächlich nur ums „Tun“. Es gibt kein vorgeschriebenes Ziel einer Wissensvermittlung und anschließendem Test des „Gelernten“. Keine Abfragerei, ab und zu jedoch eine kleine Denkaufgabe und viel Bewegung an der frischen Luft. Bauernhofpädagogik anders gedacht.

Warum also kommen die Schüler zu uns auf den Hof, wenn sie laut der Schulpflicht im Unterricht doch eher „etwas lernen“ sollen?

Bilder: © K. Ferrlein

Was ist eigentlich „etwas“?

Im Vordergrund unserer vormittäglichen Treffen steht wirklich nur eines: gemeinschaftliches Tun. Wir arbeiten zusammen. Wir verrichten eine sinnvolle Tätigkeit, denn wir füttern unsere Tiere. Jedes Mal. Routine. Die Kinder wissen das bereits. Sie spüren ihren Körper, das Wetter, Kälte und Wärme, Emotionen, Anstrengung und Zufriedenheit.

Natürlich erfordert der Anfang viel Geduld von allen Seiten. Die Routinearbeit, die wir „Bauernhöfler“ sonst alleine oder maximal zu zweit erledigen, dauert doppelt so lange. Denn wir als Gruppe sind zusammen am Lernen: Handgriffe werden vorgemacht, nachgemacht, gelernt und gefestigt. Die Kinder lernen von uns, wir von ihnen. Mittlerweile richten die Schüler alles selbst. Routine. Ab und zu brauchen sie eine helfende Hand und die Erinnerung, dass wir unsere Arbeit für die Tiere tun.

Kommen wir zu den Kälbern, rufen sie schon nach uns. Es ist laut im Stall. Genauso laut wie wenn die Schüler die ersten Minuten auf dem Hof sind. Begrüßungsstress, Ankommen, Daheimfühlen. Dann wird gefüttert. Nach und nach werden die Tiere ruhiger, satter und zufriedener. Im gleichen Tempo werden die Kinder ruhiger, finden ihren Rhythmus und merken, dass das, was sie hier zusammen tun einander gut tut. Dann ist Stille. Sobald die Tiere gefüttert sind, halten wir kurz inne und genießen die Ruhe. Die Kinder wissen, dass nun ihre Pause ansteht. Auch das lernen wir zusammen. Erst kümmern wir uns um andere, dann um uns selbst.

Bilder: © K. Ferrlein

Stichwort Gemeinschaft

Auf dem Bauernhof geht 99% der Arbeit nur Hand in Hand. Miteinander statt Gegeneinander. Nach Hilfe bitten und Hilfestellung anbieten. Die Kinder lernen sich selbst zu ermutigen einander zu helfen. Und manchmal auch mit jemand zusammen zu arbeiten, mit dem man normalerweise vielleicht wenig Gemeinsamkeiten hat.

Nach mir die Sintflut gibt es nicht. Denn nach mir kommt keiner. Keiner, der die Arbeit für mich erledigt. Ich bin selbst verantwortlich.

Bauernhofpädagogik
Voller Körpereinsatz beim gemeinschaftlichen Füttern – Bild: © K. Ferrlein

Auch die Lehrer lernen ihre Schüler neu kennen. Ein ruhiger Schüler kann besonders gut eine Verbindung zu den Tieren aufbauen und sie streicheln. Ein zappeliger, lauter Schüler lernt schnell dass es Ruhe braucht bei den Tieren. Die Kinder können auch mal toben, sollen sie sogar! Der natürliche Bewegungsdrang, der uns Stück für Stück abtrainiert wird, darf gerne ausgelebt werden.

Aber auch auf dem Bauernhof gibt es Regeln. Ein wildes Durcheinander verursacht Chaos, Stress und Unfälle. Das ist unproduktiv, wir kommen nicht voran. Und das bedeutet, dass sich die Pause nach hinten verschiebt. Der eigene Magen knurrt immer lauter. Die Kinder merken das. Wir können aber erst zur Pause gehen, wenn wir unsere Aufgabe erfüllt haben. Die Kinder wissen das. Und sie spüren es auch. Wir schauen nicht auf die Uhr. Die Tiere warten nicht. Jetzt muss diese Aufgabe gemeinschaftlich erledigt werden. Und das wird sie. Prioritäten kennen keine Uhrzeit.

Das Leben ist dynamisch

Und ganz spielerisch und nebenbei lernen wir dann doch auch noch etwas über Landwirtschaft und Tierhaltung. Die Berührungen werden sicherer, die Fragen präziser. Die Kinder verstehen durch ihr Tun was passiert. Wie ihr Verhalten sich auf die Tiere auswirkt. Und auf ihr Gegenüber.

Wir lernen nicht nach Lehrplan. Wir lernen vom Leben. Ruhe, Geduld, Zurückstecken, Miteinander, Durchhaltevermögen, Empathie. Auch wenn all‘ diese wunderbaren Eigenschaften niemals prüfungsrelevant sein werden, bestimmen sie doch unser Leben. Es wird vorausgesetzt, dass Kinder diese so wichtigen Eigenschaften als Erwachsene später einmal mitbringen. Das ist allerdings umso einfacher, wenn wir ihnen die Chance geben sie sich aktiv anzueignen und zu festigen. Learning by doing. Praxis statt Theorie. Emotionen fühlen. Nach- und Mitdenken statt nur Anweisungen zu erhalten. Wir lernen durch und in Bewegung. Das Leben ist dynamisch.

Bilder: © K. Ferrlein

Auf unserem Bauernhof bieten wir die Chance diese Dynamik aufzubauen und zu erlauben. Für alle Kinder.

Wir sind der festen Überzeugung, dass festgefahrene Muster aufgebrochen werden dürfen, können und sollen. Wir tun es in unserer Art der Landwirtschaft und wir genießen es mitzuerleben, wenn Kinder das auf unserem Bauernhof auch tun.

Euer

2020 Niederfelder Biohof

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