Von Bienchen und Blümchen… und Besamungen!

Besamung, Begattung, Belegung, Brunst, Brut – wie auch immer und wer auch immer, die Fortpflanzung in der Tierwelt ist tatsächlich weniger romantisch als „Bienchen und Blümchen“ uns weismachen wollen. Wir räumen auf mit gängigen Vorurteilen gegenüber der modernen Landwirtschaft und zeigen verschiedene Modelle.

Equipment und Dokumentation

„Das Männchen penetriert das Weibchen und verlässt es dann“

Worüber wir bei „Bridget Jones“ kichern und schmunzeln, ist in der Natur der Tierwelt tatsächlich Tagesordnung. Es gibt natürlich durchaus Tierarten, die monogam leben und sogar umeinander werben. Allerdings ist das die Ausnahme. In der Regel gibt es die „Platzhirsche“ in der überwiegend weiblichen Herde.

Es wird besprungen, ohne nach den Befindlichkeiten zu fragen. Ist die Geburt noch nicht so lange her? Gibt es gesundheitliche Probleme, die eine Belegung gerade nicht sinnvoll machen? Egal! Das Männchen, in unserem Falle der Stier, springt auf!

Spaß beiseite, jetzt wird‘s ernst!

Mittlerweile besamen wir unsere Kühe „künstlich“ (komisches Wort… es ist zwar vielleicht eine Kunst, aber die Befruchtung ist am Ende genauso natürlich wie durch einen Stier…). Wir hatten allerdings lange Jahre verschiedene Stiere sowohl für die Rinder im Jungviehstall, als auch für die Kühe im Kuhstall und konnten einige Erfahrungen in beide Richtungen sammeln.

Auch wenn die Erfolgsquote beim Stier ein vielfaches höher liegt, war es oft genug nicht sehr schön anzusehen, wenn die Kuh den Stier die paar Sekunden der Belegung gerade so tragen konnte. Gewichtsmäßig nämlich. Nicht nur eine Kuh ist dabei schon in die Knie gegangen… es ist vielleicht ein „natürlicher“ Vorgang, aber schön oder gar romantisch? Fehlanzeige! Es ist mindestens genauso unromantisch wie eine künstliche Besamung, die aber weitaus weniger anstregend ist für die Kuh.

Der „Munni“, einer unserer ehemaligen Deckbullen in der separaten Stierbox.

Wozu dann eigentlich noch Stiere?

Allerdings möchten wir den Stier hier nicht schlechter dastehen lassen, als er wirklich ist.

Der Stier hat nämlich einen angeborenen „sechsten Sinn“, mit dem er brünstige Kühe quasi 100 m gegen den Wind riechen kann. Für uns Menschen besteht Brunstbeobachtung hauptsächlich aus „ zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ zu sein und jahrelangen Erfahrungswerten. Natürlich dürfen wir auch nur dann besamen, wenn wir einen Kurs als Eigenbestandsbesamer abgeschlossen haben.

Voraussetzung ist der Kurs zum Eigenbestandsbesamer!

Dieser Kurs besteht aus einem theoretischen Teil, denn der Zyklus, die Hormone und Brunstanzeichen sollte man genauso im Schlaf beherrschen wie den richtigen Umgang mit Equipment und Samenröhrchen. Im praktischen Teil wird das blinde Erfühlen des Gebärmutterhalses und das richtige Führen der Besamunspistole erlernt, denn die Besamung sollte zügig und ohne Verletzungen für die Kuh erfolgen. Außerdem kann man durch Erfühlen auch herausfinden, ob die Kuh wirklich brünstig ist und es im Zweifelsfall eher verschieben. Die richtige Auswahl des Bullens kann man je nach Prioritäten und durch Anpaarungsvorschläge des Zuchtvereins anpassen, der im Übrigen auch die Kurse anbietet.

Besamung rind
Rektal wird untersucht ob die Kuh optimal brünstig ist indem der Gebärmutterhals durch die Darmwand getatstet wird.

Bei der Auswahl der Bullen hat für uns z. B. die Leichtkalbigkeit Priorität. D.h. der Deckbulle vererbt das Merkmal von tendenziell kleineren Kälbern zum Geburtszeitpunkt. Dadurch wird die Geburt erleichtert und Kuh und Kalb haben den optimalen Start zusammen. Als nächstes ist für uns natürlich die Roboterfähigkeit wichtig, um genau zu sein eine günstige Zitzenstellung. Dicht gefolgt von der Langlebigkeit und Robustheit der Tiere. Wir wollen keine „Turbokühe“, die nach zwei Jahren den Stall ausgelaugt verlassen. Auf äußerliche Merkmale legen wir weniger Wert, aber so ist jeder Rinderhalter unterschiedlicher Ansicht. Natürlich besteht auch nur eine 50%-Chance, dass diese Merkmale sich vererben, denn auch die Kuh wird ihre Gene weitergeben.

Dem Stier sind all’ diese Dinge egal. Natürlich. Er kann ja auch ausschließlich seine Merkmale vererben. Und das tut er dann ganz gerne. Er hat die beste Quote von allen! Ist die Kuh gesund (denn auch Kühe können Zysten oder andere Krankheiten bekommen), liegt seine Erfolgsrate bei sagenhaften 100%, meist im ersten Anlauf!

Wirtschaftlichkeit vom Stier (in Röhrchen)?

Wirtschaftlich gesehen hat der Deckbulle nur Vorteile:

  • Arbeitswirtschaftlich ist die künstliche Besamung deutlich aufwändiger, alleine schon durch die Brunstbeobachtung, die sich über Stunden ziehen kann. Dies erledigt der Bulle im Handumdrehen. Selbst wenn die Kuh noch nicht optimal brünstig ist, so kommt er eben nochmal zum Zug! Den Akt selbst übernimmt er natürlich auch ganz alleine.
  • Betriebswirtschaftlich spricht auch wenig gegen den Stier, denn er kann quasi unbegrenzt oft seine Merkmale weitervererben, während wir bei der Besamung pro Röhrchen bezahlen. War das Zeitfenster für die Einnistung bei der Kuh schon überschritten, ist die Besamung vergeblich und das Röhrchen kann auch nicht mehr eingefroren werden. Kurz gefasst: ein Satz mit X!

Entscheidung für die Besamung

Was uns dazu bewogen hat vom Deckbullen abzukommen ist die Tatsache, dass sie ab einem gewissen Alter unangefochtener Chef im Stall sind. Einem Stierunfall ist es dann letzlich geschuldet, dass wir endgültig nur noch besamen. Es ist kein Vorwurf dem Tier gegenüber. Er hat sich normal verhalten, seine Herde, sein Revier verteidigt. So wie das alle männlichen Tiere ab einem gewissen Alter instinktiv tun. Stichwort „Testosteron“.
Allerdings war das für unsere tägliche Arbeit und das Stallklima einfach nicht mehr zu vereinbaren.

Kuhbeobachtung geglückt: eine optimal brünstige Kuh wird besamt.

Letzlich sind wir auch mit dieser Herausforderung gewachsen. Die Brunstbeobachtung funktioniert, die Erfolgsraten der Besamungen sind gut und wir können durch gezielte Auswahl der Vatertiere eine bunte, robuste und vor allen Dingen eine der Nachfrage orientierten Nachzucht unserer Herde gestalten.

Romantik ist es nicht, aber defintiv eine tragbare Variante dazu. Und das gilt natürlich auch für einen Biobetrieb. Wir finden, das solltet ihr wissen, zumal es eine oft gestellte Frage bei Bauernhofbesuchen ist.

Teilt uns gerne eure Meinung dazu mit!

Euer

2020 Niederfelder Biohof

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